Auf welche Schwierigkeiten können Dolmetscher bei Ausgangstexten stoßen, und wie sind diese zu meistern? Auf der Grundlage einer Auswertung der Arbeit von professionellen Dolmetschern wurden die folgenden 11 Faktoren ermittelt.
Die offensichtlichste Schwierigkeit ist die Menge an unbekannten Fachwörtern oder Fachtermini. Ein guter Dolmetscher lernt bis zu seinem letzten Atemzug neue Wörter. Dolmetscherinnen und Dolmetscher lernen im Laufe ihres Berufslebens neue Wörter, und die Übersetzung eines wachsenden Arsenals an Wörtern wird für sie zum Automatismus. Der wichtigste Schritt bei ihrer Vorbereitung ist in der Regel die Erstellung eines Glossars. Dies geschieht anhand von Primärtexten der Gesprächspartner/Referenten und/oder anderen Texten zum Thema, die im Internet zu finden sind (Artikel, Einträge in Online-Enzyklopädien, Websites von Unternehmen oder Organisationen usw.). Idealerweise vergeht zwischen der Wörterbucharbeit und dem Dolmetsch-Einsatz mindestens eine Nacht, aber selbst ein morgen früh zusammengestelltes Glossar ist besser als gar keins.
Kopieren Sie den entsprechenden Text, z. B. einen Artikel aus dem Browser in das Textverarbeitungsprogramm (im Folgenden beschreiben wir den Prozess mit den Befehlen von MS Word). Stellen Sie die Sprache für die Rechtschreibprüfung ein, um Tippfehler zu erkennen. Lesen (und deuten) Sie den Text. Klicken Sie bei angehaltener Strg-Taste doppelt auf die Wörter die Sie dem Glossar hinzufügen möchten. Wenn Sie am Ende des Artikels angelangt sind, legen Sie sie in die Zwischenablage (Strg-C), öffnen ein neues Dokument (Strg-N) und kopieren den Inhalt der Zwischenablage (Strg-V). Die Wörter müssten nun untereinander, von Zeilenumbrüchen getrennt stehen. Bei Bedarf können Sie sie mit dem Befehl A->Z in der Registerkarte Start in Sektion Zwischenablage alphabetisch ordnen.
Nun verwandeln Sie die Wortliste in eine Tabelle: Markieren Sie alles mit Strg-A und wählen Sie dann auf der Registerkarte Einfügen den Befehl Tabelle/Tabelle einfügen. Die Wörter gelingen somit in die Zellen einer Tabelle mit einer einzigen Säule. Fügen Sie der Tabelle eine neue Spalte hinzu, indem Sie das Kontextmenü oder das Plus-Symbol verwenden, das in der oberen rechten Ecke bei Annäherung erscheint.
Für die Rohübersetzung der Wörter bietet selbst deepl.com eine gute Lösung. Legen Sie das Ergebnis in die Zwischenablage (Dokumentensymbol unter dem Textfeld oder Markieren + Strg-C), kehren Sie zum Texteditor zurück, markieren Sie die leere Spalte mit dem Abwärtspfeil darüber und überschreiben ihre Zellen mit Strg-V. Jeder Begriff, der durch einen Zeilenumbruch getrennt ist, landet somit in separaten Zellen. Werfen Sie einen Blick auf die letzte Zeile, um zu sehen, ob die Wörter synchron geblieben oder nicht doch irgendwo verrutscht sind.
Es ist dann unerlässlich, die Wörter durchzugehen, da es keine Garantie dafür gibt, dass ein Online-Übersetzer in diesem speziellen Kontext die beste Lösung bietet. Der kontextabhängige Deep-L kann jedoch bessere Ergebnisse liefern, wenn auch der gesamte Artikel unter die Wörter mit hineinkopiert wird. Aber auch mit dieser Methode kommen wir nicht umhin, uns Gedanken um die einzelnen Wörter zu machen - was keine Zeitverschwendung ist, weil wir sie dabei auch einprägen.
Für eine längerfristige Terminologieverwaltung ist es sinnvoll, die Tabelle in eine Tabellenkalkulationssoftware zu kopieren, in der am besten eine Datei (Microsoft Excel: "Workbook") mit verschiedenen Registerkarten für die Speicherung diverser Fachgebiete angelegt wird. Diese können leicht als CSV-Dateien exportiert und später in CAT-Software importiert werden, sollten Sie auch mal schriftlich übersetzen.
Namen von Institutionen, Ämtern, Gesetzen, Verordnungen, Ereignissen, wichtigen Verträgen. Diese Begriffe, die in der Regel aus mehreren Wörtern bestehen, kommen einem Sprecher der Zielsprache erst in den Sinn, wenn er ihre feste zielsprachliche Entsprechung hört. Außerdem sollte man als Dolmetscher so gut wie möglich wissen, worauf sie sich beziehen.
Während beim Simultandolmetschen keine Zeit bleibt, so genannte kulturelle Gegebenheiten zu erklären (z. B. "die Rede von Őszöd"), kann es beim Konsekutivdolmetschen sinnvoll sein, sie entsprechend dem voraussichtlichen Kenntnisstand des Zuhörers zu beschreiben (die Rede des damaligen Ministerpräsidenten auf der Parteiversammlung 2006). Dies setzt natürlich eine umfassende Kenntnis der betreffenden kulturellen Gegebenheiten voraus. Ein milderer Fall liegt vor, wenn die kulturelle Realität (z. B. Trianon) in einer anderen Sprache durch einen anderen Eigennamen bezeichnet wird (der Friedensvertrag von Versaille), was nicht so viel Zeit in Anspruch nimmt.
Ein sicheres Mittel, um die Dolmetscher zu ermüden, ist die Häufung von Realien, was in den ersten Sätzen von Reden auf Konferenzen und politischen Foren leider recht häufig vorkommt. Beispiel:
Vielen Dank an [Position+Personenname] für die Aufnahme der Delegierten von [Einrichtung+Ort] unter der Leitung von [Position+Personenname] in dem wunderschönen Gebäude des [Einrichtung+Ort], damit wir gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen von [Ereignis] anlässlich von [Name der Veranstaltung] finden können.
Und es gibt nur eine Sache, die wichtiger ist als die letzten Sätze einer Rede: die Einleitung; ist der Dolmetscher unsicher, ist genau das der Zeitpunkt, an dem es jeder merkt.
Auch hier ist Vorbereitung das A und O. Der Dolmetscher sollte in beiden Sprachen die Namen der Organisatoren und Teilnehmer, ihre Positionen und Institutionen sowie die Namen der zu besprechenden Ereignisse und Dokumente kennen.
Wenn nach der Erstellung einer solchen Liste und eines Glossars noch Zeit übrig ist, sollte sich der Dolmetscher mit dem Thema so vertraut wie möglich machen - die Gründe dafür werden im Abschnitt über die Fremdartigkeit des Themas (der Zusammenhänge) näher erläutert.
In den meisten Fällen handelt es sich bei den Realia um kritische Informationen, ohne die der Inhalt nicht nur unverständlich wäre, sondern der Satz nicht einmal gebaut werden könnte.
Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir haben das Glossar vorbereitet, aber angesichts der großen Arbeitsbelastung, die vor uns liegt, wollen wir den wichtigsten Teil des Vokabulars - die Fachbegriffe und Realismen "in unserer Eingeweide" haben. Hier hilft das klassische Büffeln von Flashkarten für das es schon lange Computer- oder neuerdings auch Smartphone-Anwendungen wie ANKI oder VocabTool gibt. Sie können Ihre Wortlisten in diesen Programmen im CSV-Format importieren - ein Format, das MS Excel exportieren kann. Sie können einstellen, wie viele Wörter Sie jedes Mal lernen möchten. Übertreiben Sie es nicht; es lohnt sich, jeden Tag zu lernen, aber mit dem Ziel, nicht mehr als 9-21 Wörter zu lernen.
ANKI "enthüllt" eines der Entsprechungen des Wortpaares, und Sie geben das zielsprachliche Äquivalent an. Das Programm führt keine Wellenform-Analyse durch, wir sind unsere eigenen Prüfer. Karte wird auf Klick „umgedreht“ und wir können mit 3 Schaltflächen bestimmen, ob wir
Im ersten Fall wird das Programm die Karte in der nächsten Sitzung ein weiteres Mal verwenden, und wenn wir auch da bestätigen, dass sie zu diesem Zeitpunkt keine Herausforderung mehr darstellt, wird sie aus dem Stapel verschwinden.
Auch im zweiten Fall können wir damit rechnen, die Karte noch weitere Male zu Gesicht zu bekommen.
Im dritten Fall wird die Karte noch in derselben Sitzung abgefragt, so dass gegen Ende nur noch die schwer zu merkenden Karten wiederholt werden, bis wir allen mindestens die mittlere Bewertung gegeben haben.
Es liegt auf der Hand, in der Sprachrichtung zu lernen, in der Sie später (meistens) arbeiten müssen. Da wir aber auf den meisten Konferenzen und in allen Liaison-Situationen hin- und zurück arbeiten müssen, lohnt es sich, eher unsere muttersprachlichen Wörter abzufragen - d.h. das schnelle Abrufen von Fremdwörtern zu üben (was in der Regel die kognitiv anspruchsvollere Aufgabe ist).
VocabTool ist eine ähnliche App, die Spielrunden werden jedoch mit Spielen aufgelockert: man verbindet die Buchstaben auch mal mit dem Finger oder als Erleichterung wählt die richtige ENtsprechung des Wortes aus 5 Möglichkeiten aus.
Das genaue Merken von Zahlen wird erschwert, wenn ihnen ein übersetzungsintensiver Text vorausgeht oder folgt, z. B. ein Wirtschaftsindikator, dessen zielsprachliche Entsprechung man genau kennen müsste. Zahlen werden oft von Maßeinheiten gefolgt, die insbesondere im technischen Bereich selbst aus mehreren Wörtern bestehen kann.
Rundet der Dolmetscher die Zahl aus Mangel an Ressourcen ab (lässt er z.B. Hundertstel, Tausendstel weg) ist er auf der sicheren Seite, wenn er "in etwa" oder "ungefähr" voranstellt.
Für Zahlen in Millionenhöhe, die der Sprecher bis auf den Einsen genau angibt, lohnt es sich, "mehr als", "weniger als", "fast", "etwas über" voranzustellen, und sollten alle Stricke reißen, sind Lösungen wie "Zig-Milionen", "in Hundert-Millionenhöhe" oder "in sieben-/ achtstellige Höhen" immer noch eine bessere Lösung als das Weglassen der Zahl.
Im Deutschen und im Englischen werden Zahlen zwischen 13 und 19 leicht mit den Mehrfachen von 10 zwischen 30 und 90 verwechselt. Hier gibt es Überschneidungen mit Abschnitt 8; s. weiter unten. Ähnlich ärgerlich ist das Problem der kontinentalen und angelsächsische Zehnerpotenzen. Und die Übersetzung von Maßeinheiten birgt so viele Fallstricke und falsche Freunde, dass man sich damit extra beschäftigen muss, wenn man sich auf technisches Übersetzen und Dolmetschen begibt.
Der Autor dieses Artikels hat auch erlebt, dass vier Studenten der Fachrichtung Konferenzdolmetscher an einer Übung dieselbe Zahl mit Maßeinheit auf vier verschiedene Arten angegeben haben.
Bei den Sprachkombinationen Deutsch-Ungarisch und Englisch-Ungarisch ist die Übersetzung von Daten ebenfalls problematisch. Ungarisch reicht von der größten bis zur kleinsten Zeiteinheit, die deutsche Reihenfolge ist umgekehrt aber ebenfalls konsequent. Im Englischen hingegen gibt es zwei Varianten: das britische Tag-Monat-Jahr-Format, ähnlich wie im Deutschen, und das amerikanische Monat-Tag-Jahr-Format. Da die ausschließliche Verwendung von Zahlen in der mündlichen Kommunikation zu einem totalen Chaos führen würde, wird im Englischen immerhin der Name des Monats immer ausgesprochen.
Selbst wenn der Redner sich dessen bewusst und kooperativ ist, bleibt man als Deutsch-Englisch-Dolmetscher oft hängen: In welcher Sprache arbeite ich jetzt?
Das Problem wiederholt sich zudem bei der Interpretation zweistelliger Zahlen; während das Englische wie das Ungarische die lokalen Werte in der Reihenfolge vom größten zum kleinsten nimmt, kehrt das Deutsche entgegen aller Vernunft die Einser- und Zehnerstelle (zwischen 13 und 99) um. Wieso heißt es eigentlich hundertdreiundzwanzig und nicht "hundertzwanzigunddrei"? Dies führt nicht nur beim deutsch-ungarischen Dolmetschen immer wieder zu Augenblicken des Kopfzerbrechens, sondern kann Hemmungen hervorrufen, wenn derselbe Dolmetscher dann auf Englisch arbeiten soll.
Sofern es sich nicht um ein Berufswort, einen geografischen oder Ortsnamen oder ein anderes sinnvolles Wort handelt, sind Namen zufällige Aneinanderreihungen von Lauten. Beim Konsekutivdolmetschen lohnt es sich, mindestens einmal zur Verdeutlichung nachzufragen, damit der Redner versteht, solche Lautfolgen in Zukunft deutlicher zu artikulieren. Beim Simultandolmetschen können wir versuchen, sie wiederzugeben (kauderwelschen) aber in jedem Fall ist es am besten, die Namen auf einer Liste vor uns zu haben.
Außerdem fühlen sich manche bei der falschen Wiedergabe ihrer Titeln echt auf den Schlips getreten - sie haben sich diese hart erkämpft. Hat der Dolmetscher das Gefühl, die eine oder andere Realie akustisch nicht verstanden zu haben, sollte er von der Möglichkeit der Rückfrage Gebrauch machen.
Das menschliche Gehirn ist kein Rechner (wenn auch manch einer Vortragende sich dies scheinbar wünschen würde). Dass ein Redner Notizen vor sich hat, mit welchen er die Vollständigkeit seines Vortrags, seiner Fakten sicherstellt, gilt als selbstverständlich. Leider kommt es aber vor, dass der Vortragende zwecks der eigenen Entlastung alles vom Blatt vorliest. Der Vortrag beinhaltet nicht nur viele Daten, sondern auch einige komplizierte Sätze, deswegen ist er sich nicht sicher, ob er sie auswendig aufsagen kann. Es ist äußerst unfair, wenn der Dolmetscher alles genau wiedergeben, d.h. einen Text ad-hoc verarbeiten soll, welcher aufgeschrieben worden sein muss, weil selbst sein Autor ihn nicht auswendig vortragen kann.
Aufzählungen sind typischerweise Container für Fachtermini, Realien und Daten, und sind von höchster Informationsdichte. Eine Liste mit mehr als drei Punkten, die in rascher Folge vorgetragen wird, kann erhebliche Zeitverluste verursachen.
Zum Glück gehören Listen oft zum selben Themenbereich; es kann sinnvoller sein, sich auf den zugrundeliegenden Inhalt zu konzentrieren, als zu versuchen, wie ein Übersetzungsprogramm zu fungieren. Beispiel: als Begleiterscheinungen des modernen Lebens werden die Worte Stress - Depression - Angst - Schlafstörungen oft in einem Atemzug genannt. Kommt es zu einer solchen Aufzählung, empfiehlt es sich, diese aus dem Erfahrungsschatz abzurufen, und es ist immer noch besser, eine zu übersehen, als wertvolle Sekunden für den Dolmetscher zu verlieren.
Idiome sind wie die Würze der Sprache, sie ermöglichen es, Zusammenhänge frappierend abzukürzen, und amüsieren zumindest die Hälfte des Publikums – jedoch können sie Dolmetscher vor große Herausforderungen stellen. Für die Verdolmetschung von Idiomen bieten sich 5 Möglichkeiten an:
1. Es existiert in der Zielsprache eine eins-zu-eins Entsprechung, weil es von einer Sprachgemeinschaft in eine andere übernommen wurde.
z.B. Äpfel mit Birnen vergleichen
= "almát körtével összehasonlítani"
2. Das Idiom hat ein idiomatisches Gegenstück in der Zielsprache, das denselben Inhalt ausdrückt.
Beispiel 1."über den Berg zu sein"
= "látja a fényt az alagút végén" wortwörtlich: "das Licht am Ende des Tunnels sehen"
"Túl van a zenitjén" wäre hier ein idiomatischer falscher Freund!
Beispiel
2. "aus dem letzten Loch pfeifen"
Die Spiegelübersetzung dazu wäre:
"az utolsó lyukból sípol" - was aber wohl auf Unverständnis stoßen würde.
Hier bietet sich auf dem ersten Blick
"száz sebből vérzik" an, was aber das deutsche Idiom nur bedingt entspricht. "Aus hundert Wunden zu bluten" sagt der Ungar nämlich zu Projekten, Vorhaben und Theorien, die viele Fehler haben da sie forciert wurden. Was aus dem letzten Loch pfeift, geht hingegen kaputt, bricht zusammen - auch wenn es mal wunderbar funktioniert hat.
Richtige Entsprechungen wären daher vielmehr
"a végét járja" oder "az utolsókat rúgja".
4. Das Idiom hat in der Zielsprache keine Äquivalente, aber eine Spiegelübersetzung würde schon verstanden werden.
z.B. "es zieht sich wie ein roter Faden hindurch" was auf ein wiederkehrender, integraler Bestandteil des gesamten Themas hindeutet; sein Ursprung liegt in Goethes Wahlverwandschaften, in dem er den roten Faden in den Schiffstauen der britischen Marine erwähnt.
"vörös fonalként húzódik végig a művön"
würde im entsprechenden Kontext keine Verblüffung verursachen (wobei das deutsche Wort Leitfaden sich schon in gebildeten Schichten eingebürgert hat).
5. Das Idiom hat in der Zielsprache überhaupt keine Äquivalente und eine Spiegelübersetzung könnte der Rezipient auch nicht deuten; hier hilft nur eine Umschreibung.
z.B. "jemandem einen Bärendienst erweisen" ("seine Hilfe schadet mehr als sie nützt")
"valakinek medveszolgálatot tenni" geht gar nicht
Eine solide Deutsch-Ungarische Idiomensammlung mit Erklärungen finden Sie unter diesem Link.
Die Translationswissenschaft unterscheidet zwei Arten von Wissen:
1. Das deklarative Wissen ist die Summe datenähnlicher Informationen über die Welt; es lässt sich leicht verbalisieren, seine Quellen sind die Lebenserfahrung und die Medien.
2. Das prozedurale Wissen hingegen ist nicht bewusst und wird unbewusst angewendet.
Für den Dolmetscher besteht das deklarative Wissen aus kulturellem und berufsspezifischem Wissen, während sein prozedurales Wissen aus sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten und Dolmetschstrategien besteht. Die beiden Begriffe decken sich ziemlich genau mit den deutschen Wörtern Wissen und Können.
Der Dolmetscher findet sich oft in neuen Situationen wieder, stößt auf neue Zusammenhänge und trifft auf eine Fülle neuer Wörter. Wie gebildet und kosmopolitisch er auch sein mag, findet er sich oft in Situationen wieder, in denen er am wenigsten über das betreffende Fachgebiet weiß. Bei Kunden, die keine oder nur wenige Fremdsprachen sprechen, entsteht manchmal der Eindruck, der Dolmetscher würde wie ein maschineller Übersetzer arbeiten: er reihe einfach Worte hintereinander; ob er die Inhalte versteht, sei nicht von Belang. In Wahrheit arbeiten heute nicht mal bessere Übersetzungssoftware auf diese Weise. Sprachen sind nicht bloß unterschiedliche Vokabulare auf demselben grammatischen Konstrukt, selbst die Definition unterschiedliche Vokabulare auf unterschiedlichen Grammatiken wäre ungenügend. Sprachen bilden kulturelle Betriebssysteme nach und funktionieren auf mannigfaltigen Ebenen und Dimensionen unterschiedlich und als natürliche Gebilde werden sie von zahlreichen Ausnahmen von der Regel geschmückt.
Da Dolmetscher nicht bloß von einer Sprache auf die andere, sondern viel mehr von der einen Kultur auf die andere arbeiten, müssen sie ständig lernen. Da ist das EInarbeiten in das Material der jeweiligen Veranstaltung das Minimum, was einen intensiven Kontakt zu den Organisatoren voraussetzt. Die Vorbereitung erhöht das deklarative, die Praxis das prozedurale Wissen, und je weiter letzteres fortgeschritten ist, desto mehr wird der Dolmetscher entlastet, und ersteres effektiver genutzt.
Selbst zwischen verschiedenen Sprechern der gleichen Sprache kann es erhebliche Unterschiede in der Ausdrucksweise geben. Beispielsweise wird von dem technischen Charakter der deutschen Sprache, ihrer modulare Erweiterbarkeit von Muttersprachlern in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch gemacht. So ist es zum Beispiel für die ungarische Sprache befremdlich, wenn Satzzeichen in die gesprochene Sprache eingefügt werden (z. B. "Fragezeichen"), aber die entsprechende Betonung weggelassen wird. Wenn die Rede des Vortragenden fremd wirkt - im Falle des Simultandolmetschens -, lohnt es sich, den Folgeabstand oder Décalage zu vergrößern.
Die Gedanken des ausländischen Sprechers zu deuten, sie für die zielsprachige Aufnahme fertig zu stellen ist die Aufgabe des Dolmetschers. Wählt er einen zu urzen Abstand, hat er nur Zeit, das Gesagte "halb verdaut" in einer auf der Zielsprache fremden Weise übermitteln.
Wie Sie vielleicht den obigen Abschnitten entnommen haben, werden alle genannten Schwierigkeiten durch ein schnelles Tempo des Sprechers verstärkt. Während sich Dolmetscher in der Regel über zu schnelles Sprechen beschweren, kann auch langsames Sprechen ein Problem sein, ebenso wie dramatisch wechselnde Tempi.
Simultandolmetschen
Während der Dolmetscher eine frühere Textstelle formuliert und eine noch frühere wiedergibt, kann ihm die Textstelle, die er gerade hört, entgehen. Hat der Dolmetscher das Gefühl, dass es immer mehr unscharfe Stellen gibt, ist es besser, ein wenig Verlust in Kauf zu nehmen und in die Gegenwart zu springen, als krampfhaft an längst passierte Stellen zu arbeiten. Andernfalls könnte seine Verspätung erhalten bleiben, was zu einer insgesamt schlechteren Performance führt.
Konsekutivdolmetschen
Hier strebt der Dolmetscher grundsätzlich ein optimales Verhältnis von Verstehen / Merken und Notieren an. Wenn er mit dem Thema nicht vertraut ist (siehe Kapitel Fremdartigkeit der Zusammenhänge und der Formulierung) und auch das Tempo schnell ist, muss er aufpassen, dass er nicht zum Stenographen verkommt, denn wenn seine Schrift unleserlich wird und/oder voller nicht mehr im Gedächtnis gespeicherten Abkürzungen ist, verliert er den Faden.
Während sich das Missverstehen auf die Fehlinterpretation von Inhalten aus komplexeren Gründen bezieht, ist der Verhörer die falsche Wahrnehmung von bekannten oder halb unbekannten Wörtern - teilweise schlicht und ergreifend aus akustischen Gründen. Ein häufiger Grund dafür ist, dass der Klang eines Wortes dem eines anderen Wortes ähnlich ist - manchmal weil es sich um etymologisch verwandte Wörter handelt.
Wenn ein Dolmetscher ein Wort oder einen Teil eines Wortes aus einem physischen Grund (Umgebungsgeräusche, ungenaue Artikulation) nicht hören kann, muss er aus dem was er immerhin gehört hat und dem Kontext eine Lösung finden. Rückfragen sind bei Ferndolmetschen immer möglich, bei Konsekutivdolmetschen eher bedingt. Bei Synchrondolmetschen gar nicht, aber als letzte Lösung kann er auf Meldungen wie "unvollständiger Satz" oder "der Rest war akustisch nicht verständlich". Denn der Synchrondolmetscher ist ganz bestimmt nicht der einzige, der an der Veranstaltung eine Verantwortung hat und mit Lösungen aufkommen muss... Die Show muss weitergehen, kann aber nicht von einem Einzelnen abhängig sein.
Die A-Sprache der Dolmetscher ist ihre Muttersprache. Die B-Sprache ist ihre stärkere Fremdsprache, von und auf welche sie arbeiten. Die C-Sprache ist ihre weniger starke Fremdsprache, aus der sie in ihre Muttersprache arbeiten, nicht aber umgekehrt. Verhörer treten wesentlich häufiger auf, wenn die Quellsprache die C-Sprache ist.
Während im direkten Gespräch, nachträgliche Ergänzungen kein Problem darstellen (vor allem bei entsprechender Betonung), ist es bei Texten aus zweiter Hand nicht immer klar, ob ein Nebensatz nur ein kurzes Info in Klammern war und wo eigentlich die Klammer endete. die Verwirrung wird gesteigert, wenn ein zudem unartikulierter Sprecher in einer endlosen Reihe von Klammern redet, die nie geschlossen werden. Dass jede Assoziation neue eröffnet, ist in der Regel für ältere Render typisch. Im besten Fall bereiten sie Notizen vor oder es ist ein Moderator anwesend, der das Gespräch auf Bahn hält.
Ähnlich ungünstig ist der umgekehrte Fall, wenn der Sprecher wesentliche Informationen aufgrund einer angenommenen Allgemeinbildung weglässt.
Die Arbeit des Dolmetschers wird auch durch zu viele fehlerhaft formulierte Sätze erschwert, z. B. wenn der Redner einen Satz anders beendet, als was zum Anfang gepasst hätte, Wortstrukturen, Gedanken werden abgebrochen, oder Sätze einfach kein Ende haben.
Kunden produzieren keinen druckfertigen Text. Wenn möglich, fragen Sie an einer klar identifizierten problematischen Stelle nach, vorzugsweise am Anfang. Beispiele:
"Wenn Sie sagen 'a testvéremmel', meinen Sie ein älteres oder jüngeres bzw. männliches oder weibliches Geschwister?"
(im Deutschen muss das konkretisiert werden)
"Wenn Sie sagen: 'Wir machen DAS schon', was meinen Sie damit?"
(Im Deutschen gibt es drei Arten von Artikeln, die sich auf das Objekt beziehen können; das Unkenntnis des aktuellen Objekts kann zu Missverständnisse führen.)
Bei der globalen Unklarheit der Gesprächsabsicht z.B.: "Ist es nun gut oder schlecht was geschah?"
Gehen Sie beim Stellen von Fragen mit gutem Beispiel voran, formulieren Sie einfach und artikulieren sie deutlich. Auf diese Weise wird der ungeduldige / hektische / schüchterne Redner - oder Moderator - erkennen, was in seinem Redestil möglicherweise suboptimal ist, und sich im günstigen Fall bemühen, in weiteren Verlauf deutlicher zu sprechen.
Wir sind weder eine Prüfungskommission noch das ein Gerichtshof; grundsätzlich verrichtet der Dolmetscher seine Pflichten als bezahlte Dienstleister – aber Teil dessen ist es, Missverständnissen zu vermeiden, was für ein Kunde auch immer dieses Risiko darstellt.
Es gibt leichtere und schwerere (weniger oder mehr das Gehirn beanspruchende) Sprachkombinationen, aber auch die beiden Sprachrichtungen derselben Sprachkombination können unterschiedliche Herausforderungen darstellen.
Der vielleicht auffälligste Unterschied zwischen den beiden Sprachen ist die unterschiedliche Informationsdichte; schaut man sich eine Englisch-Ungarische Broschüre oder Website an, wird der ungarische Text um 20% länger sein als das englische Original. Beim Dolmetschen können daher sehr knappe englische Texte nur in sehr schnellem Tempo ins Ungarische übertragen werden. Was alles nicht bedeutet, dass der Dolmetscher bei umgekehrte Sprachrichtung die Beine baumeln lassen kann. Das englische Äquivalent wird nicht 20 % kürzer sein, da im Ungarischen andere Strukturen verwendet werden als im Englischen; außerdem erhöht die Arbeit mit einer prägnanteren Sprache den "Rechenaufwand": Es müssen mehr Informationen aufgenommen werden, es ist mehr Antizipation erforderlich, und die Wörter der ersten, intuitiven Lösungen müssen stärker "verschoben" werden.
Sprachrichtungen lassen sich auf einer Schwierigkeitsskala wie folgt einordnen:
B → A |
C → A |
A → B |
A → C |
geringe Beanspruchung |
mittelmäßige Beanspruchung |
starke Beanspruchung |
unvorteilhaft |
Beim Simultandolmetschen decken die vom Dolmetscher ausgesprochene Wörter "physisch" die folgenden Redeeinheiten ab. Für Dolmetscher mit tiefer Stimme sind Sprecher mit hoher Stimme von Vorteil und umgekehrt - aber mit der Praxis entwickeln sie die Fähigkeit, ihre eigenen Stimme und die anderer zu trennen.
Das Dolmetschen in einer Zielsprache mit höherer Informationsdichte entzieht jedoch mehr Ressourcen, auch wenn pro Zeiteinheit weniger Silben geformt werden.
Indoeuropäische Sprachen erweitern Genitivkontrukte nach rechts, während im Ungarischen die Parentele meist nach links gesetzt werden. Dies führt sowohl in der Richtung IE -> Ungarisch als auch in der Richtung Ungarisch -> IE dazu, dass wir die Verlautbarung des gesamten Genitivkonstrukts abwarten müssen, bevor wir mit der Reproduktion beginnen können; es ist also "speicherintensiv".
Ein Beispiel für den Unterschied im Umfang zwischen der englischen und der ungarischen Entsprechung häufig verwendeter Ausdrücke:
Redner: "az Egyesült Királyság Európai Unióból történő kilépése által" (25 Silben) oder "durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union" (22 Silben)
Dolmetscher: "by the UK leaving the EU"
Selbst wenn der Dolmetscher alles anstelle der Abkürzungen ausgesprochen hätte, wäre die Struktur ("by the United Kingdom leaving the European Union") nur 17 Silben lang gewesen - 2/3 der ursprünglichen Silbenzahl. Die Zahl der Silben ist freilich nicht der einzige Faktor des Tempos; artikulatorische Eigenheiten der Sprachen haben auch ihren Einfluß.
So hat jede Sprachkombination spezifische Herausforderungen und Erleichterungen.
Horváth Ildikó 2015. Bevezetés a tolmácsolás pszichológiájába
Budapest: ELTE Eötvös Kiadó.
Klaudy Kinga 2012. Bevezetés a fordítás gyakorlatába
Budapest: Scholastica Bt.