Praktische Hinweise für angehende Dolmetscher

Schwierigkeitsfaktoren von Quelltexten

Auf welche Schwierigkeiten können Dolmetscher bei Ausgangstexten stoßen und wie können diese überwunden werden? Auf der Grundlage einer Auswertung der Arbeit professioneller Dolmetscher wurden die folgenden 11 Faktoren ermittelt.

1. Fachterminologie

Die offensichtlichste Schwierigkeit ist die Menge unbekannter Fachbegriffe. Ein guter Dolmetscher lernt bis zu seinem letzten Atemzug neue Wörter. Dolmetscherinnen und Dolmetscher lernen im Laufe ihres Berufslebens neue Wörter, und das schnelle Übersetzen eines wachsenden Wortschatzes wird für sie zu einem Automatismus. Der wichtigste Schritt in ihrer Vorbereitung ist in der Regel die Erstellung eines Glossars. Dies geschieht auf der Grundlage von Primärtexten der Gesprächspartner/Referenten und/oder anderen Texten zum Thema, die im Internet zu finden sind (Artikel, Einträge in Online-Enzyklopädien, Websites von Unternehmen oder Organisationen usw.). Im Idealfall sollte zwischen der Arbeit am Glossar und dem Dolmetscheinsatz mindestens eine Nacht liegen, aber auch ein morgens zusammengestelltes Glossar ist besser als gar keins.

💡 Praxistipp: Erstellung eines Glossars

Kopieren Sie den entsprechenden Text, z.B. einen Artikel, aus dem Browser in das Textverarbeitungsprogramm (im Folgenden wird der Vorgang mit den Befehlen von MS Word beschrieben). Stellen Sie die Sprache für die Rechtschreibprüfung ein, um Tippfehler zu erkennen. Lesen (und interpretieren) Sie den Text. Halten Sie die Strg-Taste gedrückt und doppelklicken Sie auf die Wörter, die Sie dem Glossar hinzufügen möchten. Wenn Sie am Ende des Artikels angekommen sind, kopieren Sie die Wörter in die Zwischenablage (Strg-C), öffnen Sie ein neues Dokument (Strg-N) und kopieren Sie den Inhalt der Zwischenablage (Strg-V). Die Wörter sollten nun untereinander stehen, getrennt durch Zeilenumbrüche. Bei Bedarf können Sie sie mit dem Befehl A->Z im Register Start im Bereich Zwischenablage alphabetisch sortieren.

Nun wandeln Sie die Wortliste in eine Tabelle um: Markieren Sie alles mit Strg-A und wählen Sie im Register Einfügen den Befehl Tabelle/Tabelle einfügen. Die Wörter werden nun in die Zellen einer einspaltigen Tabelle eingefügt. Fügen Sie der Tabelle eine neue Spalte hinzu, indem Sie das Kontextmenü oder das Plus-Symbol in der rechten oberen Ecke der Tabelle verwenden.

Für die Rohübersetzung der Wörter bietet sogar deepl.com eine gute Lösung. Legen Sie das Ergebnis in die Zwischenablage (Dokumentensymbol unter dem Textfeld oder Markieren und Strg-C), kehren Sie zum Texteditor zurück, markieren Sie die leere Spalte mit dem Abwärtspfeil darüber und überschreiben Sie die Zellen mit Strg-V. Jeder Begriff, der durch einen Zeilenumbruch getrennt ist, steht nun in einer eigenen Zelle. Werfen Sie einen Blick auf die letzte Zeile, um zu sehen, ob die Wörter synchron geblieben sind oder nicht.

In diesem Fall ist es unerlässlich, die Wörter zu überprüfen, da es keine Garantie dafür gibt, dass ein Online-Übersetzer in diesem speziellen Kontext die beste Lösung anbietet. Das kontextabhängige Deep-L kann jedoch bessere Ergebnisse liefern, wenn auch der gesamte Artikel unter der Wortliste kopiert wird. Aber auch bei dieser Methode kommen wir nicht umhin, über die einzelnen Wörter nachzudenken - was keine Zeitverschwendung ist, weil wir dabei ja auch lernen, Worte einprägen.

Für eine längerfristige Terminologieverwaltung ist es sinnvoll, die Tabelle in ein Tabellenkalkulationsprogramm zu kopieren und dort am besten eine Datei (Microsoft Excel: "Workbook") mit verschiedenen Registerkarten für die Speicherung der verschiedenen Fachgebiete anzulegen. Diese Dateien können leicht als CSV-Dateien exportiert und später in CAT-Software importiert werden, falls auch schriftliche Übersetzungen anfallen.

2. Realien

Namen von Institutionen, Ämtern, Gesetzen, Verordnungen, Ereignissen, wichtigen Verträgen. Diese Begriffe, die in der Regel aus mehreren Wörtern bestehen, fallen dem Sprecher der Zielsprache erst dann ein, wenn er ihre feste Entsprechung in der Zielsprache hört. Der Dolmetscher sollte natürlich ziemlich genau wissen, worauf sich die Begriffe beziehen.

Während beim Simultandolmetschen keine Zeit bleibt, so genannte kulturelle Gegebenheiten zu erklären (z.B. "die Rede von Őszöd"), kann es beim Konsekutivdolmetschen sinnvoll sein, diese entsprechend dem voraussichtlichen Kenntnisstand des Zuhörers zu beschreiben (die Rede des damaligen Ministerpräsidenten auf dem Parteitag 2006). Dies setzt natürlich eine umfassende Kenntnis der jeweiligen kulturellen Gegebenheiten voraus. Ein milderer Fall liegt vor, wenn die kulturelle Realität (z.B. Trianon) in einer anderen Sprache mit einem anderen Eigennamen bezeichnet wird (Friedensvertrag von Versailles), was nicht so viel Zeit in Anspruch nimmt.

Ein sicheres Mittel, um die Dolmetscher zu erschöpfen, ist die Anhäufung von Realien, was leider in den ersten Sätzen von Reden auf Konferenzen und politischen Foren recht häufig vorkommt. Beispiel:

Vielen Dank an [Position+Personenname] für den Empfang der Delegierten von [Institution+Ort] unter der Leitung von [Position+Personenname] in dem wunderschönen Gebäude von [Institution+Ort], damit wir gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen von [Ereignis] anlässlich von [Name der Veranstaltung] finden können.

Und es gibt nur eine Sache, die wichtiger ist als die letzten Sätze einer Rede: die Einleitung; wenn der Dolmetscher unsicher ist, ist es der Anfang, an dem es jeder merkt.

Auch hier ist Vorbereitung alles. Der Dolmetscher sollte in beiden Sprachen die Namen der Organisatoren und Teilnehmer, ihre Funktionen und Institutionen sowie die Namen der zu besprechenden Ereignisse und Dokumente kennen.

Wenn nach der Erstellung einer solchen Liste und eines Glossars noch Zeit bleibt, sollte sich der Dolmetscher so weit wie möglich in das Thema einarbeiten - die Gründe dafür werden im Abschnitt über die Fremdartigkeit des Themas (der Kontexte) näher erläutert.

In den meisten Fällen handelt es sich bei den Realia um kritische Informationen, ohne die der Inhalt nicht nur unverständlich wäre, sondern ohne die der Satz nicht einmal aufgebaut werden könnte.

💡 Praxistipp: Flashcards zum Lernen von Wörtern und Realien

Stellen wir uns folgende Situation vor: Wir haben das Glossar vorbereitet, wollen aber angesichts des großen Arbeitsaufwandes, der auf uns zukommt, den wichtigsten Teil des Vokabulars - die Fachwörter und Realien - "im Kopf" haben. Hier hilft das klassische Pauken von Flashcards, für das es schon lange Computer- oder neuerdings auch Smartphone-Apps wie ANKI oder VocabTool gibt. In diese Programme können Sie Ihre Wortlisten im CSV-Format importieren - ein Format, das MS Excel exportieren kann. Sie können einstellen, wie viele Vokabeln Sie jeweils lernen möchten. Übertreiben Sie es nicht; es lohnt sich, jeden Tag zu lernen, aber versuchen Sie, nicht mehr als 9-21 Vokabeln pro Tag zu lernen.

ANKI "enthüllt" eine der Entsprechungen des Wortpaares und Sie geben das zielsprachliche Äquivalent ein. Das Programm führt keine Wellenformanalyse durch, wir sind unsere eigenen Prüfer. Die Karte wird durch Anklicken „umgedreht“ und wir können mit 3 Schaltflächen entscheiden, ob wir

Im ersten Fall wird das Programm die Karte in der nächsten Sitzung erneut verwenden, und wenn wir auch dann bestätigen, dass sie keine Herausforderung mehr darstellt, verschwindet sie aus dem Stapel.

Auch im zweiten Fall können wir damit rechnen, die Karte noch einige Male zu sehen.

Im dritten Fall wird die Karte noch in der gleichen Sitzung abgefragt, so dass gegen Ende nur noch die schwer zu merkenden Karten wiederholt werden, bis wir allen mindestens die mittlere Bewertung gegeben haben.

Es liegt auf der Hand, in der Sprachrichtung zu lernen, in der man später (meistens) arbeiten muss. Da wir aber bei den meisten Konferenzen und in allen Liaison-Situationen hin und her wechseln müssen, ist es sinnvoll, eher die Wörter der Muttersprache abzufragen - also das schnelle Abrufen von Fremdwörtern zu üben (was in der Regel die kognitiv anspruchsvollere Aufgabe ist).

VocabTool ist eine ähnliche App, allerdings sind die Übungsrunden durch Spiele aufgelockert: Man muss manchmal Buchstaben mit dem Finger verbinden oder zur Erleichterung aus 5 Möglichkeiten die richtige Entsprechung des Wortes auswählen.

3. Daten

3.1 Zahlen

Das genaue Merken von Zahlen wird erschwert, wenn ihnen ein übersetzungsintensiver Text vorausgeht oder folgt, z. B. ein Wirtschaftsindikator, dessen zielsprachliche Entsprechung man genau kennen müsste. Auf Zahlen folgen häufig Maßeinheiten, die insbesondere im technischen Bereich aus mehreren Wörtern bestehen können.

Wenn der Dolmetscher die Zahl aus Mangel an Ressourcen abrundet (z.B. Hundertstel, Tausendstel weglässt), ist er auf der sicheren Seite, wenn er "in etwa" oder "ungefähr" voranstellt. Bei Zahlen in Millionenhöhe, die der Redner auf die Einerstelle genau angibt, lohnt es sich, "mehr als", "weniger als", "fast" oder "etwas über" voranzustellen, und wenn alle Stricke reißen, sind Lösungen wie "zig Millionen", "in Hundertmillionenhöhe" oder "im sieben- oder achtstelligen Bereich" immer noch besser als das Weglassen der Zahl.

Im Deutschen und Englischen werden die Zahlen zwischen 13 und 19 leicht mit den Vielfachen von 10 zwischen 30 und 90 verwechselt. Hier gibt es Überschneidungen mit Abschnitt 8, siehe unten. Ähnlich ärgerlich ist das Problem der kontinentalen und angelsächsischen Zehnerpotenzen. Und die Übersetzung von Maßeinheiten birgt so viele Fallstricke und falsche Freunde, dass man sich beim technischen Übersetzen und Dolmetschen extra damit beschäftigen muss.

Der Verfasser dieses Artikels hat erlebt, dass vier Studenten der Fachrichtung Konferenzdolmetschen bei einer Übung dieselbe Zahl mit Maßeinheit auf vier verschiedene Arten angegeben haben.

3.2 Datumsangaben

Problematisch ist auch die Übersetzung von Datumsangaben in den Sprachkombinationen Deutsch-Ungarisch und Englisch-Ungarisch. Im Ungarischen geht die Reihenfolge von der größten zur kleinsten Zeiteinheit, im Deutschen ist die Reihenfolge umgekehrt. Im Englischen hingegen gibt es zwei Varianten: das dem Deutschen ähnliche britische Tag-Monat-Jahr-Format und das amerikanische Monat-Tag-Jahr-Format. Da die ausschließliche Verwendung von Ziffern in der mündlichen Kommunikation zu einem völligen Chaos führen würde, wird im Englischen der Monatsname immer mit ausgesprochen.

Auch wenn der Redner sich dessen bewusst und kooperativ ist, kommt man als Deutsch-Englisch-Dolmetscher manchmal ins Stocken: In welcher Sprache dolmetsche ich jetzt?

Das Problem wiederholt sich auch bei der Interpretation zweistelliger Zahlen: Während das Englische wie das Ungarische die lokalen Werte in der Reihenfolge vom größten zum kleinsten nimmt, vertauscht das Deutsche entgegen aller Vernunft zwischen 13 und 99 die Eins- und Zehnerstelle. Warum heißt es hundertdreiundzwanzig und nicht "hundertzwanzigunddrei"? Das führt nicht nur beim deutsch-ungarischen Dolmetschen immer wieder zu Kopfzerbrechen, sondern kann auch zu Hemmungen führen, wenn derselbe Dolmetscher dann auf Englisch arbeiten soll.

3.3 Personennamen

Namen sind zufällige Aneinanderreihungen von Lauten, sofern es sich nicht um Berufsbezeichnungen, geografische oder Ortsnamen oder andere sinnvolle Wörter handelt. Beim Konsekutivdolmetschen lohnt es sich, mindestens einmal nachzufragen, damit der Redner lernt, solche Lautfolgen in der weiteren Folge deutlicher zu artikulieren. Beim Simultandolmetschen kann man versuchen, sie zu reproduzieren (Kauderwelsch), aber in jedem Fall ist es besser, die Namen auf einer Liste vor sich zu haben.

Außerdem fühlen sich manche Leute wirklich auf den Schlips getreten, wenn ihre Titel falsch wiedergegeben werden - sie haben hart dafür gearbeitet. Wenn der Dolmetscher das Gefühl hat, dass er den einen oder anderen Realie akustisch nicht verstanden hat, sollte er von der Möglichkeit der Rückfrage Gebrauch machen.

4. Aufzählungen

Das menschliche Gehirn ist kein Computer (auch wenn sich viele das zu wünschen scheinen). Es gilt als selbstverständlich, dass ein Vortragender Notizen vor sich liegen hat, mit denen er die Vollständigkeit seines Vortrags, seiner Fakten sicherstellt. Leider kommt es aber vor, dass der Vortragende zur eigenen Entlastung alles vom Blatt abliest. Der Vortrag enthält nicht nur viele Daten, sondern auch einige komplizierte Sätze, von denen er nicht sicher ist, ob er sie auswendig aufsagen kann. Es ist äußerst unfair, wenn der Dolmetscher alles genau wiedergeben muss, d.h. einen Text ad hoc übersetzen soll, der geschrieben werden musste, weil sein Autor ihn nicht mal auf seiner Muttersprache auswendig vortragen kann.

Aufzählungen sind typischerweise Container für Fachbegriffe, Sachverhalte und Daten und weisen die höchste Informationsdichte auf. Eine Aufzählung von mehr als drei Punkten, die in rascher Folge vorgetragen wird, kann zu einem erheblichen Zeitverlust führen.

Glücklicherweise gehören Listen oft zum gleichen Thema; es kann sinnvoller sein, sich auf den zugrunde liegenden Inhalt zu konzentrieren, als zu versuchen, wie ein Übersetzungsprogramm zu funktionieren. Beispiel: Als Begleiterscheinungen des modernen Lebens werden die Begriffe Stress - Depression - Angst - Schlafstörungen oft in einem Atemzug genannt. Wenn eine solche Aufzählung kommt, ist es ratsam, sie aus dem Erfahrungsschatz abzurufen, und es ist immer noch besser, einen zu übersehen, als wertvolle Sekunden an den Dolmetscher zu verlieren.

5. Idiome

Idiome sind die Würze der Sprache, sie ermöglichen es, Zusammenhänge auf einprägsame Art und Weise abzukürzen, und sie amüsieren mindestens die Hälfte des Publikums - aber sie können auch eine große Herausforderung für den Dolmetscher darstellen. Es gibt fünf Möglichkeiten, Idiome zu dolmetschen:

1. Es gibt in der Zielsprache eine Eins-zu-eins-Äquivalenz, weil es von einer Sprachgemeinschaft in eine andere übernommen wurde.
z.B. Äpfel mit Birnen vergleichen
= "almát körtével összehasonlítani"

2. Das Idiom hat ein idiomatisches Gegenstück in der Zielsprache, das denselben Inhalt ausdrückt.
Beispiel 1."über den Berg zu sein"
= "látja a fényt az alagút végén" wortwörtlich: "das Licht am Ende des Tunnels sehen"
"Túl van a zenitjén" wäre hier ein idiomatischer falscher Freund!
Beispiel 2. "aus dem letzten Loch pfeifen"
Hier drängt sich auf den ersten Blick "száz sebből vérzik" auf, was aber dem deutschen Idiom nur bedingt entspricht. "Aus hundert Wunden bluten" sagt der Ungar nämlich zu Projekten, Plänen und Theorien, die viele Fehler haben, weil sie erzwungen wurden. Was aus dem letzten Loch pfeift, geht dagegen kaputt, bricht zusammen - auch wenn es einmal wunderbar funktioniert hat.
Richtige Entsprechungen wären daher vielmehr
"a végét járja" oder "az utolsókat rúgja".

3. Das Idiom hat in der Zielsprache keine Äquivalente, aber eine Spiegelübersetzung würde verstanden werden.
z.B. "es zieht sich wie ein roter Faden hindurch" was auf ein wiederkehrender, integraler Bestandteil des gesamten Themas hindeutet; sein Ursprung liegt in Goethes Wahlverwandschaften, in dem er den roten Faden in den Schiffstauen der britischen Marine erwähnt.
"vörös fonalként húzódik végig a művön" würde im entsprechenden Kontext keine Verblüffung auslösen (das deutsche Wort Leitfaden hat sich in gebildeten Kreisen bereits eingebürgert).

4. Das Idiom hat in der Zielsprache überhaupt keine Äquivalente und eine Spiegelübersetzung könnte der Rezipient auch nicht deuten; hier hilft nur eine Umschreibung.
z.B. "jemandem einen Bärendienst erweisen" ("seine Hilfe schadet mehr als sie nützt")
"valakinek medveszolgálatot tenni" geht gar nicht

Eine solide Deutsch-Ungarische Idiomensammlung mit Erklärungen findet sich unter diesem Link.

6. Fremdartigkeit der Zusammenhänge und der Formulierung

Die Translationswissenschaft unterscheidet zwei Arten von Wissen:

1. Das deklarative Wissen ist die Summe der datenähnlichen Informationen über die Welt; es lässt sich leicht verbalisieren, seine Quellen sind die Lebenserfahrung und die Medien.

2. Das prozedurale Wissen hingegen ist nicht bewusst und wird unbewusst angewendet.

Für den Dolmetscher besteht das deklarative Wissen aus kulturellem und berufsspezifischem Wissen, während sein prozedurales Wissen aus sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten und Dolmetschstrategien besteht. Die beiden Begriffe entsprechen ziemlich genau den deutschen Wörtern Wissen und Können.

Der Dolmetscher findet sich oft in neuen Situationen wieder, stößt auf neue Zusammenhänge und trifft auf eine Fülle neuer Wörter. Wie gebildet und kosmopolitisch er auch sein mag, findet er sich oft in Situationen wieder, in denen er am wenigsten über das betreffende Fachgebiet weiß. Kunden, die keine Fremdsprachen sprechen, könnten zur Vorstellung verleitet werden, dass der Dolmetscher wie ein maschineller Übersetzer arbeiten und einfach Worte hintereinander reihen würde; ob er die Inhalte versteht, sei nicht von Belang. In Wahrheit arbeiten heute nicht mal bessere Übersetzungssoftware auf diese Weise. Sprachen sind nicht bloß unterschiedliche Vokabulare auf der gleichen grammatischen Struktur, selbst die Definition "unterschiedliche Vokabulare auf unterschiedlichen grammatischen Strukturen" wäre ungenügend. Sprachen sind kulturelle Betriebssysteme und arbeiten auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Dimensionen und als natürliche Gebilde sind sie mit zahlreichen Ausnahmen von der Regel geschmückt.

Da Dolmetscher nicht nur von einer Sprache in eine andere, sondern vielmehr von einer Kultur in eine andere übersetzen, müssen sie ständig lernen. Die Einarbeitung in das Material der jeweiligen Veranstaltung ist das Mindeste, was einen intensiven Kontakt mit den Organisatoren voraussetzt. Die Vorbereitung erhöht das deklarative Wissen, die Praxis das prozedurale Wissen, und je weiter das prozedurale Wissen entwickelt ist, desto mehr wird der Dolmetscher entlastet und das deklarative Wissen effektiver genutzt.

Selbst zwischen verschiedenen Sprechern derselben Sprache kann es erhebliche Unterschiede in der Ausdrucksweise geben. Beispielsweise wird der technische Charakter der deutschen Sprache, ihre modulare Erweiterbarkeit von Muttersprachlern in unterschiedlichem Maße genutzt. So wirkt es z.B. auf Ungarisch befremdlich, wenn Satzzeichen in die gesprochene Sprache eingefügt werden (z.B. "Fragezeichen"), die entsprechende Betonung (eines Fragesatzes) aber weggelassen wird. Wenn beim Simultandolmetschen das gesprochene Wort des Dolmetschers fremd wirkt, ist es sinnvoll, den Folgeabstand oder die Décalage zu vergrößern.

Es ist die Aufgabe des Dolmetschers, die Gedanken des ausländischen Sprechers zu interpretieren und für die Aufnahme in der Zielsprache aufzubereiten. Wählt er einen zu kurzen Abstand, bleibt ihm nur die Zeit, das Gesagte "halbverdaut" in einer der Zielsprache fremden Weise zu übertragen.

7. Tempo

Wahrscheinlich ahnen sie es schon: durch ein schnelles Tempo seitens des Sprechers werden alle genannten Schwierigkeiten verstärkt. Obwohl sich Dolmetscher in der Regel über zu schnelles Sprechen beschweren, kann auch langsames Sprechen ein Problem sein, ebenso wie dramatische Tempowechsel.

Simultandolmetschen

Während der Dolmetscher eine frühere Passage formuliert und eine noch frühere realisiert, kann ihm die aktuell gehörte Passage entgehen. Wenn der Dolmetscher das Gefühl hat, dass es immer mehr unklare Stellen gibt, ist es besser, einen kleinen Verlust in Kauf zu nehmen und lieber einen Sprung in die Gegenwart zu wagen, als krampfhaft an längst vergangenen Stellen zu arbeiten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Rückstand bestehen bleibt, was zu einer insgesamt schlechteren Performance führt.

Konsekutivdolmetschen

Der Dolmetscher strebt grundsätzlich ein optimales Verhältnis zwischen Verstehen/Merken und Notieren an. Wenn er mit dem Thema nicht vertraut ist (siehe Kapitel "Fremdheit der Zusammenhänge und Formulierungen") und das Tempo hoch ist, muss er aufpassen, dass er nicht zum Stenographen wird, denn wenn seine Schrift unleserlich wird und/oder voller Abkürzungen ist, die er nicht mehr im Gedächtnis hat, verliert er den Faden.

8. Verhörer

Während sich das Missverstehen auf die Fehlinterpretation von Inhalten aus komplexeren Gründen bezieht, handelt es sich beim Verhören um die falsche Wahrnehmung von bekannten oder halb unbekannten Wörtern - manchmal einfach aus akustischen Gründen. Ein häufiger Grund ist, dass ein Wort ähnlich klingt wie ein anderes, manchmal weil es sich um etymologisch verwandte Wörter handelt.

Wenn der Dolmetscher ein Wort oder einen Teil eines Wortes aus physischen Gründen (Umgebungsgeräusche, ungenaue Artikulation) nicht hören kann, muss er aus dem Gehörten und dem Kontext eine Lösung finden. Rückfragen sind beim Ferndolmetschen immer möglich, beim Konsekutivdolmetschen nur bedingt. Beim Synchrondolmetschen gar nicht, aber als letzte Möglichkeit kann er auf Meldungen wie "unvollständiger Satz" oder "der Rest war akustisch nicht verständlich" reagieren. Denn der Synchrondolmetscher ist sicher nicht der Einzige, der bei der Veranstaltung Verantwortung trägt und Lösungen finden muss. Die Show muss weitergehen, aber sie kann nicht von einer Person abhängen.

Im Fachjargon ist die A-Sprache des Dolmetschers seine Muttersprache. Die B-Sprache ist seine stärkere Fremdsprache, in die und aus der er dolmetschen kann. Die C-Sprache ist ihre schwächere Fremdsprache, aus der er nur in seine Muttersprache dolmetscht, aber nicht umgekehrt. Verhörer sind wesentlich häufiger, wenn die Ausgangssprache die C-Sprache ist.

9. Probleme auf Textebene

Während im direkten Gespräch nachträgliche Ergänzungen kein Problem darstellen (vor allem, wenn sie entsprechend betont werden), ist bei Texten aus zweiter Hand nicht immer klar, ob ein Nebensatz nur eine kurze Info in Klammern war und wo die Klammer eigentlich endet. Dass jede Assoziation eine neue eröffnet, ist typisch für ältere Renderer. Im besten Fall hat er Notizen vorbereitet oder es gibt einen Moderator, der das Gespräch auf Kurs hält.

Ebenso ungünstig ist der umgekehrte Fall, wenn der Sprecher aufgrund eines angenommenen Allgemeinwissens wesentliche Informationen auslässt.

Erschwert wird die Arbeit des Dolmetschers auch durch zu viele fehlerhaft formulierte Sätze, z.B. wenn der Redner einen Satz anders beendet als er begonnen hat, wenn Wortstrukturen und Gedankengänge unterbrochen werden oder Sätze einfach kein Ende haben.

💡 Praxistipp: Der Kunde ist kein König

Kunden produzieren keinen druckfertigen Text. Wenn möglich, stellen Sie an einer klar identifizierten Problemstelle eine Nachfrage, vorzugsweise am Anfang. Beispiele:

"Wenn Sie sagen 'a testvéremmel', meinen Sie ein älteres oder jüngeres bzw. männliches oder weibliches Geschwister?"
(im Deutschen muss dies konkretisiert werden)

Häufiges Verwenden von Demonstrativpronomen:
"Wenn Sie sagen: 'visszaállította', was meinen Sie damit?"
(Im Deutschen können sich drei Artikel auf das Objekt beziehen; das Unkenntnis des aktuellen Objekts kann zu Missverständnissen führen.)

Bei globaler Unklarheit der Gesprächsabsicht z.B.: "Ist es gut oder schlecht, was passiert ist?"

Gehen Sie beim Stellen von Fragen mit gutem Beispiel voran, formulieren Sie einfach und artikulieren Sie klar. Auf diese Weise wird der ungeduldige / hektische / schüchterne Redner - oder Moderator - erkennen, was an seinem Redestil möglicherweise nicht optimal ist, und sich im günstigen Fall bemühen, im weiteren Verlauf klarer zu sprechen.

Wir sind weder eine Prüfungskommission noch ein Gericht; grundsätzlich erfüllt der Dolmetscher seine Aufgabe als bezahlter Dienstleister - aber ein Teil davon ist es, Missverständnisse, aus welchem Grund auch immer sie entstehen, zu vermeiden.

10. Eigentümlichkeiten des Sprachpaars

Es gibt leichtere und schwerere Sprachkombinationen (die das Gehirn weniger oder mehr beanspruchen), aber auch die beiden Sprachrichtungen derselben Sprachkombination können unterschiedliche Herausforderungen darstellen.

Der vielleicht auffälligste Unterschied zwischen den beiden Sprachen ist die unterschiedliche Informationsdichte: Wenn man sich eine englisch/ungarische Broschüre oder Website ansieht, ist der ungarische Text um 20% länger als das englische Original. Beim Dolmetschen können daher sehr kurze englische Texte nur mit einem sehr hihen Sprechtempo ins Ungarische übertragen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Dolmetscher in umgekehrter Sprachrichtung die Beine baumeln lassen kann. Das englische Äquivalent wird nicht um 20 % kürzer sein, da im Ungarischen andere Strukturen verwendet werden als im Englischen; außerdem erhöht die Arbeit mit einer prägnanteren Sprache den "Rechenaufwand": Es müssen mehr Informationen aufgenommen werden, es ist mehr Antizipation erforderlich, und die Wörter der ersten, intuitiven Lösungen müssen stärker "verschoben" werden.

Die Sprachrichtungen können auf einer Schwierigkeitsskala wie folgt eingeordnet werden:

B → A

C → A

A → B

A → C

geringe Beanspruchung

mittelmäßige Beanspruchung

starke Beanspruchung

unvorteilhaft

Beim Simultandolmetschen decken die vom Dolmetscher gesprochenen Worte "physisch" die folgenden Redeeinheiten ab. Für Simultandolmetscher mit tiefer Stimme sind Redner mit hoher Stimme von Vorteil und umgekehrt, aber mit der Zeit entwickeln Dolmetscher die Fähigkeit, ihre eigene Stimme von der anderer zu unterscheiden.

Das Dolmetschen in einer Zielsprache mit höherer Informationsdichte beansprucht jedoch mehr Ressourcen, auch wenn pro Zeiteinheit weniger Silben gebildet werden.

Indogermanische Sprachen dehnen Genitivkonstruktionen nach rechts aus, während im Ungarischen die Parentele meist nach links gesetzt werden. Dies führt sowohl in der Richtung IE -> Ungarisch als auch in der Richtung Ungarisch -> IE dazu, dass wir warten müssen, bis das gesamte Genitivkonstrukt ausgesprochen ist, bevor wir mit der Wiedergabe beginnen können; es ist also "speicherintensiv".

Ein Beispiel für den unterschiedlichen Umfang der englischen und ungarischen Entsprechungen häufig verwendeter Ausdrücke:

Redner: "az Egyesült Királyság Európai Unióból történő kilépése által" (25 Silben) oder "durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union" (22 Silben)

Dolmetscher: "by the UK leaving the EU"

Selbst wenn der Dolmetscher alles anstelle der Abkürzungen ausgesprochen hätte, wäre die Struktur ("by the United Kingdom leaving the European Union") nur 17 Silben lang gewesen, also 2/3 der ursprünglichen Silbenzahl. Natürlich ist die Silbenzahl nicht der einzige Faktor, der das Tempo bestimmt, auch artikulatorische Besonderheiten der Sprachen haben ihren Einfluss.

So hat jede Sprachkombination ihre spezifischen Herausforderungen und Erleichterungen.

Quellen

Horváth Ildikó 2015. Bevezetés a tolmácsolás pszichológiájába
Budapest: ELTE Eötvös Kiadó.

Klaudy Kinga 2012. Bevezetés a fordítás gyakorlatába
Budapest: Scholastica Bt.

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